#Magazin

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Interview: Stefanie Matousch
Durch wegweisende Modeproduktionen und hochwertigen Journalismus hat sich Numéro Berlin den Status als eines der relevantesten Kultur- und Modemagazine weltweit erarbeitet. Darüber und weshalb die Numéro Berlin eine Hommage an Kunst, Design und Mode ist, sprach #printproudmagz mit Herausgeber Götz Offergeld.
Er schläft nur wenige Stunden, ist morgens aber bestens gelaunt. Das merkt man sofort, wenn man mit Publisher Götz Offergeld telefoniert, während er den Weg von seiner Wohnung zu seinem Büro in Charlottenburg zu Fuß zurücklegt. „Diese anderthalb Stunden nutze ich zum Telefonieren“, sprudelt es aus Offergeld heraus. „Ich spreche dann mit unseren Agenturen in Mailand oder Paris, mit Anzeigenagenten und Fotografen in New York oder sonst wo auf der Welt sowie mit meinem Team.“ Götz Offergeld steht niemals still – und er ist nie zu 100 Prozent zufrieden mit dem, was er macht. „Es könnte immer besser sein“, sagt er lachend. „Und das ist unter anderem auch mein Antrieb.“
#printproud: Wie verrückt muss man sein, ein 600 bis 800 Seiten dickes Magazin zu machen?
Götz Offergeld: Ziemlich crazy (lacht). Aber es gibt einfach so viel Schönes zu zeigen.
Wer ist eigentlich … ?
Wer ist eigentlich … ?
Götz Offergeld Einst arbeitete er als Model, heute bringt Verleger, Chefredakteur und Creative Director Götz Offergeld mit seinem Verlag Off One’s Rocker gleich mehrere Nischen-Magazine auf den Markt.
#pp: Die erste Numéro Berlin ist 2016 erschienen. Ein mutiger Schritt zu einer Zeit, in der es Print nicht gut ging, oder?
Offergeld: Ich war mir immer sicher, dass Print-Magazine immer eine Bedeutung behalten werden. Jedoch nicht alle. Mainstream-Produkte hatten und haben es schwer, denn wo ist für den Nutzer der Mehrwert? Ich brauche kein Magazin, das mir sagt, was Robert Pattinson gerade trägt. Denn das kann ich genauso gut online lesen. Aber qualitativ hochwertige Produkte sind weiterhin gefragt. Print ist nicht tot. Nur ein bestimmter Weg, der des Mainstreams, ist passé. Und wer weiß, was noch geschieht. In Amerika lesen die jungen Leute wieder Tageszeitungen. Das Gedruckte ist ihrer Meinung nach glaubwürdiger als das ganze Social-Media-Zeug.
#pp: Was genau ist Numéro Berlin, was macht das Magazin so einzigartig?
Offergeld: Numéro Berlin will eine kraftvolle Stimme der Veränderung sein. Wir wollen auf höchstem, internationalem Niveau eine avantgardistische Ästhetik prägen, die die Mode in Deutschland mit neuer Energie infiziert. Numéro Berlin ist eine Quelle für Kultursuchende und -schaffende. Eine Plattform für eine kreative Generation, die Kunst, Kultur und Mode neu denkt und gestaltet. Und für Themen, die gesellschaftlich relevant sind.
#pp: Was für Themen sind das?
Offergeld: Im ersten Halbjahr 2021 ist unsere Sex-Issue erschienen. Da ging es natürlich auch um Sex. Aber um noch so viel mehr. Denn die Ausgabe ist während des Corona-Lockdowns entstanden – und uns ging es primär auch um das Thema Freiheit. Nicht mehr rausgehen, nicht mehr tanzen, nicht mehr schwitzen zu können. Was bedeutet das für die Mode? Und was für die Menschen? Wie werden sie sich anziehen, wenn der Lockdown vorbei ist? Wie wird sich die Kunst verändert haben? Bei unserer nächsten Ausgabe, wir erscheinen zweimal im Jahr, ging es um die Empathie. Um die Verrohung der Gesellschaft, darum, wie wir miteinander umgehen. Und dann, im nächsten Magazin, haben wir uns dem Thema Liebe gewidmet. Was bedeutet das überhaupt in der heutigen Zeit? Das nächste Magazin, das im Mai erscheint, wird sich mit dem Thema Minimalismus befassen.
#pp: Die Numéro Berlin hat zwischen 600 und 800 Seiten und mutet somit eher wie ein Katalog oder Magazin an.
Offergeld: Das stimmt (lacht). Aber wir haben einfach so viel zu zeigen und zu erzählen. Wir unterteilen eine Ausgabe in drei Magazine, die man für 20 Euro, alle zusammen im Paket, kaufen kann. Volume A befasst sich mit Mode, Accessoires und Beauty. In Volume B geht es um Kunst, Kultur, Musik und Film. Volume C ist immer ein Booklet, das wir exklusiv mit einem Künstler für die Numéro Berlin und
Numéro Homme Berlin machen, wie zum Beispiel mit Helmut Lang, Jenna Gribbon, Richard Kern oder Coco Capitán. Und dann gibt es immer noch diverse Beileger, etwa ein Comicbuch, einen Stickerbogen, ein Poster oder auch Zines, die aus Kollaborationen mit Designern entstehen.
#pp: Es gibt nicht nur ein Cover pro Ausgabe, richtig?
Offergeld: Ganz genau, wir hatten mehrmals Ausgaben mit 16 Covern. Das liegt daran, dass wir auf unseren 600 bis 800 Seiten pro Ausgabe viele Geschichten und Modestrecken zeigen – und einige der Beteiligten eine sogenannte Cover-Garantie haben. Das erklärt natürlich, wieso wir dann mehrere Cover machen. Mainstream-Magazine shooten hingegen nur eine Celebrity und die kommt dann aufs Titelblatt. Der andere Punkt ist, dass ich manches in unseren Magazinen so sensationell gut finde, dass daraus auch noch ein Titel entstehen muss.
#pp: 16 Cover – gibt es denn auch Leser, die die Numéro Berlin dann 16 mal kaufen?
Offergeld: (lacht) Ja, die gibt es tatsächlich. Das sind echte Numéro-Berlin-Fans, die alle Titel besitzen wollen. Sie sammeln sie, stellen sie sich ins Regal oder legen sie wie Coffee-Table-Books auf den Wohnzimmertisch. Manche Ausgaben werden sogar für 200 oder 300 Euro weiterverkauft.
#pp: Wer ist der typische Numéro-Berlin-Leser?
Offergeld: Jemand, der weltoffen, divers und an Kunst und Kultur interessiert ist. Und nicht nur, weil es trendy ist.
#pp: Blättert man durch das Magazin, dann hat man das Gefühl, dass der Text nicht so eine große Rolle spielt.
Offergeld: Das stimmt so nicht. Was bei uns auf einer Seite geschrieben steht, ist in Schriftgröße sechs kompakt gelayoutet. In normalen Magazinen verteilt sich das in einer größeren Schrift über fünf bis sechs Seiten.
#pp: Die kleine Schrift ist also ein optisches Statement?
Offergeld: Ja, durchaus. Aber nicht nur das. Wir wollen nicht nur unterhalten. Wir möchten, dass unsere Leser sich anstrengen und etwas, das auf den ersten Blick nicht so zugänglich erscheinen mag, trotzdem erfassen möchten. Die kleine Schrift spiegelt unsere Haltung wider. Wir möchten uns nicht über Geld, irgendwelche Labelings oder Communities abgrenzen. Wir machen uns bei allem Gedanken. Nichts im Magazin, welches wir mit Mirko Borsche und dem Bureau Borsche zusammen entwickelt haben, ist zufällig: keine Schriftart, keine Schriftgröße, kein Foto.
#pp: Hat die Numéro Berlin auch einen Online-Auftritt?
Offergeld: Ganz genau – und der ist uns auch wichtig. Und gleichzeitig viel mehr als nur eine normale Online-Seite.
Im Moment arbeiten wir an vielen neuen Technologien. Es wird bestimmte Teile geben, die wie ein Magazin designt sind. Die können unsere User dann ausdrucken und sich daraus quasi ihr eigenes Magazin bauen. Bestimmte Inhalte aus den Magazinen werden auf der Website frei verfügbar und kostenlos zum Downloaden sein. Bei all dem geht es uns um die Interaktivität. In naher Zukunft wird man dann jede (Seiten-)Zahl, sowohl auf der Website als auch im Magazin, mit dem Handy scannen können. Und dann bekommt man extra Videos und Content.
#pp: Ihr Verlag Off One´s Rocker macht neben Numéro Berlin mit der Schwesterfirma OOR Studio auch noch Websites, Kunstbücher, Store-Konzepte und Kampagnen.
Offergeld: (lacht) Ja, das ist alles recht viel. In Italien und in Frankreich haben wir super Agenturen, die mit und für uns arbeiten, und ein großartiges Netzwerk weltweit. Und das Besondere bei uns ist, dass der feste Kern an Leuten alles kann und für alle unsere Titel arbeitet. Das heißt, dass einer nicht nur für Numéro Berlin zuständig ist, sondern auch an Fräulein und Intersection arbeitet, sowie an Kreativ-Konzepten von OOR Studio. Früher wussten manche Chefredakteure nicht, was in der Lithografie, was im Druck passiert. Sowas gibt es bei uns nicht. Jeder weiß, was der andere macht, wie das Business und das Gesamtpaket funktioniert. Unsere Praktikanten kochen bei uns niemals Kaffee. Die sind von Tag eins voll dabei, begleiten mich nach Mailand, Paris oder New York zu Gesprächen mit Medienagenturen, zu Fotoproduktionen, Anzeigenterminen und Modeshows. Und dabei kristallisiert sich dann heraus, wer zu uns passt und wer nicht. Ich fordere viel, gebe aber auch viel zurück. Ich bin mir darüber im Klaren, dass wir ein Sprungbrett für viele sind. Unser früherer Junior Art Director ist jetzt zum Beispiel der Art Director der Britischen Vogue.
#pp: Ihre Großmutter hatte einen starken Einfluss auf Ihre Karriere, richtig?
Offergeld: Auf meine Karriere und auf alles, was mich ausmacht. Zur Erklärung: Meine Mutter hatte einen sehr schweren, folgenreichen Autounfall, als ich ein Kind war, weshalb ich hauptsächlich bei meiner Großmutter aufgewachsen bin. Sie war eine unglaubliche Frau. Ihrer Zeit sowas von voraus. Sie war selbstbestimmt und unabhängig, ein Freigeist. Sie hat gearbeitet bis sie 100 war und die fernsten Länder bereist. Für mich war das damals ganz normal. Später habe ich dann festgestellt, dass andere Frauen zu dieser Zeit das alles so nicht gelebt haben wie meine Großmutter. Egal ob ich damals als Hetero-Mann mit einem Rock oder mit einer zerrissenen Jeans nach Hause kam, meine Oma hat mich immer bestärkt. Und als ich dann Jahrzehnte später ein Frauenmagazin relaunchen sollte, fand ich die Themen darin einfach nur sexistisch. Wie finde ich einen tollen Partner und wie schlage ich einen Nagel in die Wand? Damit kam ich gar nicht klar. Nicht mit dem Frauenbild, das meine Großmutter mir vorgelebt hatte. Das Fräulein-Magazin, verdanke ich quasi meiner Großmutter. Und nicht nur das: Die Grundidee von allem, was ich mache, kommt von ihr.
#pp: Womit können Sie uns noch überraschen?
Offergeld: Mit einer alten Schlachterei in Berlin, die wir übernommen haben und zur Galerie umgestalten lassen. Keine Sorge, ich werde jetzt nicht auch noch Galerist (lacht). Aber die Galerie soll ein Ort für Begegnungen sein, so wie die Numéro Berlin es auch ist. Neben den bestehenden Titeln, Numéro Berlin, Numéro Homme Berlin, Fräulein und Intersection wird im Mai dieses Jahres zum ersten Mal ein neuer Magazin-Titel namens XYZ in Italien erscheinen, den ich zusammen mit meinen Partnern Benjamin Brudler als CEO, Gianluca Cantaro als Chief Editor und Mirko Borsche als Art Director mache.
#pp: Wenn Sie nicht arbeiten, was tun Sie dann?
Offergeld: Es gibt nichts, was nichts mit meiner Arbeit zu tun hat (lacht). Wenn ich ins Kino oder in eine Galerie gehe, dann ist da immer ein Teil von mir, der sagt, boah, das ist ästhetisch total cool, das sollten wir im Magazin machen. Oder der Schauspieler war sensationell, den möchte ich anfragen. Meine Source of Spaß ist mein Hund (lacht). So doof wie sich das anhört, aber meine Arbeit ist mein Hobby. In den letzten 20 Jahren bin ich vielleicht zwei oder dreimal in den Urlaub gefahren. Das war schon ganz schön und ich nehme es mir immer mal wieder vor. Aber dann gibt es immer was, was ich doch spannender finde. #
In der aktuellen #printproudmagz Nr. 5 mit dem Titel „Der grüne Weg“ widmen wir uns dem wohl wichtigsten Thema überhaupt: der Nachhaltigkeit.
Wir werfen einen Blick auf vegane Druckproduktion und das große Thema Ressourcenschonung am Beispiel Papierrecycling. Außerdem beleuchten wir das wichtigste Umweltzeichen des Landes, den Blauen Engel. Und erfahren Sie, warum der deutsche Thriller-Starautor Sebastian Fitzek im Interview mit #printproudmagz zugibt, ein Weichei zu sein.
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