#Menschen
Interview: Stefanie Matousch
Eher zufällig hatte eine Wiener Agentur 2017 die Idee für ein ungewöhnliches Projekt. Dass es bis heute großen Anklang weltweit findet und daraus sogar ein Buch entstanden ist, hätten Firmengründer Lukas Fliszar und sein Team damals nicht für möglich gehalten.
#printproud: Lukas, was hat es mit eurem Projekt auf sich?
Lukas Fliszar: Also eigentlich ist es eine echt simple Sache. Mit Hilfe von zwei beziehungsweise drei Werkzeugen – einem Brush, einem Textwerkzeug und einem Radierer – lässt sich auf unserer Website in einem Feld ein Bild malen oder ein Text verfassen. Dieses wird dann in unsere Agentur geschickt. Man gibt noch einen (Fake)-Namen und eine Emailadresse an. Der Einsender bekommt dann kurze Zeit später seine Zeichnung per Mail zugesendet. Die Technik dahinter ist sehr einfach. Ein umfunktionierter Bondrucker spuckt die kleinen Bildchen aus. Eine Livecam sorgt dafür, dass der Einreicher den Druckprozess live auf unserer Website mitverfolgen kann.
#pp: Und wie kamt ihr auf diese Idee?
Fliszar: Wir essen mittags häufig alle gemeinsam im Büro. Bei einem dieser Zusammentreffen haben wir uns über unsere neue Website unterhalten. Julia, eine meiner Kolleginnen, hatte dann eine coole Idee. Die Menschen sollten auf unserer Website die Möglichkeit haben, mit einfachen Tools Zeichnungen anzufertigen, die dann zu uns ins Office geschickt werden. Wir alle fanden diesen Einfall genial, auch wenn es zu Beginn eher eine fixe Idee war. Doch dann hat sich Michael, unser Programmierer, dahintergeklemmt. Unsere neue Website ging Anfang 2018 online – zeitgleich mit „Open Call“, so nannten wir das Projekt.
Wer ist eigentlich … ?
Wer ist eigentlich … ?
Lukas Fliszar geboren in der Nähe von München, verbrachte seine Kindheit im Allgäu, bevor er mit 15 Jahren mit seiner Familie nach Oberösterreich zog. Nach seiner Ausbildung zum Grafikdesigner arbeitete er mehrere Jahre in verschiedenen Designagenturen und gründete 2010 zusammen mit einem Freund in Berlin seine eigene Agentur mit dem Namen 101 Coding und Design. Heute lebt und arbeitet er mit seinem sechsköpfigen Team in Wien.
#pp: Und was passierte dann?
Fliszar: Wir waren ehrlicherweise total überrascht. Denn obwohl wir „Open Call“ weder groß kommuniziert noch beworben haben, kamen täglich Texte und kleine Zeichnungen bei uns an – gefühlt von jedem Kontinent auf dieser Welt. Mit Menschen, mit denen wir sonst gar nicht in Kontakt kommen, auf diese Art und Weise zu tun zu haben, hat uns alle schwer begeistert.
#pp: Was für Bilder wurden denn eingeschickt?
Fliszar: Viele Penisse und auch andere primäre Geschlechtsteile (lacht). Aber auch wirklich tolle Zeichnungen mit tiefgründiger, teils auch sehr emotionaler Message dahinter. Manche UserInnen haben auch kleine Reime und Lyrik geschickt. Für uns ist es immer schön, wenn was ankommt. Dann stehen wir durchaus mal alle vor der Zeichnung, freuen uns und interpretieren sie (lacht).
#pp: Wie erklärt ihr euch das große Interesse?
Fliszar: Es scheint so, als ob viele Menschen einfach ein großes Bedürfnis haben, sich mitzuteilen. Und die Tatsache, dass die Teilnahme bei uns anonym ist, macht das Ganze natürlich noch einfacher. Die Zeichnungen können echt schlecht sein, die Texte total daneben und doch ist es völlig okay. Keiner lacht dich aus oder zeigt mit dem Finger auf dich.
#pp: Was habt ihr daraus geschlossen, wenn beispielsweise nachts um drei ein gezeichneter Penis bei euch in der Agentur angeflattert kam?
Fliszar: (lacht) Ja, das hat uns natürlich dann schon sein bisschen amüsiert. Vor allem die Einsendungen mitten in der Nacht zeigten uns, in welchem Geisteszustand der oder die VerfasserIn war. Über die Zeit haben wir aber genau gesehen, was die Leute gerade so bewegt: Donald Trump, Corona, die österreichische Regierung … all das hat man den Zeichnungen und Texten immer stark angemerkt.
#pp: Was habt ihr mit den besten Einsendungen gemacht?
Fliszar: Von den tausenden von Bildern und Texten haben wir uns natürlich genau 101 ausgesucht (lacht). Denn schließlich steckt diese Zahl in unserem Firmennamen: 101 Coding und Design. Und diese Bilder und Texte haben wir dann hier in unserer Agentur in einer kleinen Ausstellung gezeigt. Und das kam super an.
#pp: „Open Call“ – was steckt eigentlich hinter diesem Namen?
Fliszar: Der besagt, dass sich jeder Mensch angesprochen fühlen darf. Egal wo auf der Welt, ob Mann oder Frau, jung oder alt – jede Einsendung ist hier willkommen. Etwas später haben wir unser Projekt dann aber umbenannt und zwar in „Instant Doodles“. Das lag aber vor allem daran, dass ein Buchverlag auf uns aufmerksam wurde.
#pp: Und mit diesem Verlag habt ihr ein Buch herausgebracht?
Fliszar: Ganz genau. Das fanden wir natürlich richtig toll. Denn zwischendrin war das Projekt auch mal ein bisschen eingeschlafen und das fanden wir sehr schade. Bis auf ein paar wenige Zeichnungen, die dem Verlag nicht so zugesagt haben, wurden alle gedruckt, die wir ausgewählt hatten. Hinten im Buch kann man die jeweiligen (Fake-)Namen der VerfasserInnen einsehen und das Datum sowie die Uhrzeit, zu der die Zeichnung uns erreicht hat.
#pp: Wenn ihr nicht gerade mit „Instant Doodle“ beschäftigt seid – was macht ihr dann?
Fliszar: „Instant Doodl“ ist wirklich nur ein kleines Projekt für uns, eigentlich just for fun, das so nebenher läuft. Ansonsten bietet unsere Agentur ein umfassendes Leistungsspektrum – von der Konzeption bis zur Programmierung, von der Art Direktion bis zu Druckabwicklung. Wir entwickeln Markenkonzepte und setzen diese digital um. Wir erstellen aber auch ganz klassisch Websiten oder Webshops. Zu unserer Kunden zählen Kultur- und Kreativinstitutionen wie das Volkstheater in Wien, die Kunsthalle, das Tanzquartier, der Creative Club Austria oder auch das österreichische Kulturforum in Berlin. Aber auch Konzerne wie die ÖBB oder das Bundesministerium für Kunst und Kultur beauftragen uns.
#pp: Macht ihr hauptsächlich Digitales oder auch Print?
Fliszar: Tatsächlich ist der Hauptteil unserer Arbeit digital. Wir haben vor paar Jahren auch tatsächlich überlegt, uns „Digitalagentur“ zu nennen. Aber dann würden wir alles Haptische und Emotionalisierte ausklammern – und das wollten wir nicht. Die Sehnsucht nach etwas Analogem, nach etwasHaptischem, nach Print, wird immer größer, je mehr wir in die digitale Welt shiften. Wir haben hier in unserer Agentur ein ganzes Regal voll mit verschiedenen Papieren. Die nutzen wir, wenn wir unsere Kundinnen und Kunden beraten. Ein schöner Moment, wenn sie sich dann durch die Papiere tasten. Manche riechen sogar daran. Da knistert es dann irgendwie auch zwischenmenschlich (lacht). #
Über die Autorin
Stefanie Matousch
Von München in die Weltstadt Hamburg – und kürzlich nach Ahrensburg in Schleswig-Holstein gezogen. Auch wenn ihr Leben jetzt in geregelteren Bahnen verläuft – für gute (Print-)Geschichten und spannende Menschen brennt die Journalistin auch heute noch.
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