#Menschen
Erik Spiekermann, 75, gilt als „Godfather“ der Typographie. Seine FF Meta hat es ins MoMA in New York geschafft. Seine Schriften haben legendäres Corporate Design (Deutsche Bahn) geschaffen.
Ein Gespräch über Drucken als Zurück zu den Wurzeln, den Überlebenswert von Langspielplatten und Büchern sowie Unsinn wie Emojis als Weltschrift.
#printproud: Herr Spiekermann, in der Branche werden Sie als legendärer deutscher Designer, Schriften-Guru, Typomaniak und Tausendsassa beschrieben. Macht Sie das stolz?
Erik Spiekermann: Schon. Aber grundsätzlich sollte man als Schriftgestalter wenig Eitelkeit haben, um gute Lesbarkeit herzustellen. Man darf sich bei dieser Arbeit nicht persönlich einbringen. Mir ist es wichtig, als Gestalter nicht im Vordergrund zu stehen. Das Produkt ist wichtiger als der Produzent.
#pp: Sie haben und hatten viele Auftraggeber aus den verschiedensten Branchen, die Sie offensichtlich zufrieden stellen konnten. Also sind Sie auf jeden Fall ein Tausendsassa?
Spiekermann: Ein Tausendsassa ist jemand, der viel kann, aber nichts richtig. Das trifft auf mich durchaus zu. Ich habe ein Kunstgeschichtsstudium abgebrochen und mir die Schriftsetzerei autodidaktisch beigebracht. Seit den 70er-Jahren arbeite ich als Unternehmer, hatte zwischenzeitlich 200 Angestellte. Also, ich habe schon ziemlich viel im Leben angefangen…
Wer ist eigentlich … ?
Erik Spiekermann 75, prägte mit seiner grafischen Identitäts- und Designarbeit Jahrzehnte die visuelle Welt. Als Gründer von MetaDesign und Edenspiekermann gab er u.a. dem ÖPNV Berlins, der Deutschen Bahn, dem Economist sowie Audi und Bosch ein unverwechselbares Erscheinungsbild. Seine Arbeiten wurden mit den prestigeträchtigsten Preisen Europas ausgezeichnet. Sein FontShop war das erste Versandgeschäft für Computerschriften. Zahlreiche Schriftentwürfe, u.a. ITC Officina und FF Meta, sind als Klassiker auf vielen Festplatten vorhanden. Heute betreibt er in Berlin eine experimentelle typografische Werkstatt nach dem Motto: Hacking Gutenberg. Der leidenschaftliche Fahrradfahrer und -sammler hat die Rahmen der E-Bikes von Urwahn gestaltet.
#pp: … und ziemlich viel zu Ende gebracht. Ihre Designagenturen Metadesign und Edenspiekermann sind ebenso legendär wie die Fontshop AG, eine Art Versandhaus für Computerschriften. 2015 haben Sie dennoch, obwohl erklärter Schriftenpapst für die Computerbranche, in Berlin die experimentelle Druckwerkstatt Galerie P98a eröffnet. Warum? Zurück zu den analogen Wurzeln?
Spiekermann: Ich habe mein Leben lang Drucksachen gestaltet. Schriften wurden ja erfunden, um Wissen zu bewahren und weiter zu geben. Und dass wir alle daran teilhaben können, ist bekanntermaßen seit 600 Jahren Johannes Gutenberg zu verdanken. Das hat mich schon als kleiner Junge fasziniert. Aber, ich war eben auch der erste deutsche Grafikdesigner, der sich 1985 einen Apple Macintosh gekauft hat. 18.000 Mark habe ich dafür hingeblättert. So viel kostete damals ein Golf – den ich nicht brauchte. Dass diese Technik ganz neue Perspektiven eröffnet, war klar. Heute kommen im Internet zwei Welten zusammen, die digitale und die analoge, die sich gegenseitig ergänzen und befruchten. Um diese Chance zu nutzen, musste man in beiden Welten firm sein. Das habe ich gemacht.
#pp: Was ist passiert, dass Sie trotzdem den Wert des Analogen hervorheben?
Spiekermann: Kürzlich habe ich gelesen, dass der Verkauf von Langspielplatten wieder in die Höhe geschossen ist. Das muss man sich mal vorstellen. Die werden bei uns kaum noch hergestellt, sondern meist in Polen. Und die Hälfte dieser Käufe werden noch nicht mal aus der Verpackung geholt, sondern so ins Regal gestellt. Die Leute kaufen LP’s einfach, weil sie sie haben wollen. Das ist wie mit Büchern. Ich habe fast zweieinhalbtausend. Die braucht kein Mensch. Aber ich kann Bücher nicht wegschmeißen, wenn ich sie gelesen habe. Das ist ein rein emotionales Verhalten, das man so vom Bildschirm nicht kennt.
#pp: Wie meinen Sie das?
Spiekermann: Ich habe im Laufe der Jahre gemerkt, dass Bildschirmarbeit entfremdet. Unsere Welt ist aber zum Anfassen, zum Riechen, zum sinnlichen Begreifen. Und zum Innehalten. Im Internet gibt es nur eine Richtung. Vorwärts. Wir Menschen wollen immer mehr: Informationen, Bilder, Bewegung. Aber was wir anfassen können, begreifen wir schneller und behalten es länger, weil wir es räumlich einordnen können. Ein Buch hat zwei Seiten. Weil wir zwei Hände haben, um es festzuhalten und zwei Augen, um zu lesen. Das Hochformat des Mobiltelefons entspricht nicht unserer Physis. Beim Zeitunglesen hat mich immer schon begeistert, dass man Sachen findet, die man nicht gesucht hat. Man schlägt eine Seite auf, findet etwas rechts unten, und liest es, weil es einen interessiert. Was für eine Überraschung.
#pp: Haben Sie deshalb auch den Krautreporter, ein unabhängiges, weil nicht werbefinanziertes, Onlinemagazin drucken lassen?
Spiekermann: Im Digitalen kann man zwar alles suchen, aber nichts behalten. Zeitungsdruck ist genau das Gegenteil – man legt die Zeitung ins Regal oder in die Schublade und kann sie jederzeit wieder greifen. Das hat mich gereizt. Außerdem hatte ich eine große Druckmaschine für das nordische Format, also 400 x 570 Millimeter.
#pp: Und wie war die Nachfrage?
Spiekermann: Wir haben 6000 Exemplare gedruckt. Die waren ruckzuck vergriffen – obwohl nicht jeder von der Idee überzeugt war.
#pp: Sie haben Design für große Kunden wie die Post, die Deutsche Bahn, Audi und VW, das ZDF gestaltet, darunter Verkehrsleitsysteme und Behördendokumente. Besonders Letzteres klingt ziemlich pragmatisch …
Spiekermann: Sie meinen langweilig… Es ist wichtig, Inhalt angemessen darzustellen, Texte verständlich rüberzubringen. Das war schon zu Zeiten der Wandmaler so. Mann geht Hirsch jagen. Das wurde gemalt. Das war die Botschaft. Was gibt es Befriedigenderes als Menschen zu helfen, sich auf einem Bahnhof zurecht zu finden, weil sie die Anzeigen lesen können. Oder weil sie mit einer Farbe und einer Schrift ein Unternehmen wiedererkennen. Und, wichtig, ein Antrag, den man für eine Behörde ausfüllen muss, ist so gestaltet, dass ihn jeder versteht.
#pp: Das alles kann Schrift?
Spiekermann: Und noch viel mehr. Schrift ist Kommunikation. Deshalb wurde sie erfunden. Um etwas anderen mitzuteilen, das Bestand hat. Deshalb muss man als Gestalter seine Zielgruppe kennen. Und natürlich auch das Medium, für das die Schrift geschaffen wird. Als Gestalter muss man sich in die Situation versetzen, in der gelesen wird. Das heißt, die Schrift auf einem Display muss andere Eigenschaften haben als die Schrift auf einem Fahrplan. Vor allem eine andere Größe. Auf einem Display habe ich nur wenig Platz. Außerdem sind die Lichtverhältnisse anders.
#pp: Dennoch gibt es Schriften, die sowohl analog als auch digital funktionieren. Ihre FF Meta ist so eine. Sie hat es sogar in die Ausstellung des MoMA in New York geschafft.
Spiekermann: Ich vergleiche diesen Schaffensprozess mit eingepackten Schneeketten. Jeder kennt die Situation im Winter: Es schneit, man kramt die Schneeketten hervor, friemelt sie auseinander und will die Gebrauchsanleitung lesen. Wenn die nicht in Plastik verpackt und dadurch geschützt ist, weicht sie auf und ich kann sie nicht entziffern. Dazu muss die Information knapp gehalten sein, man friert ja draußen, und einen leserlichen Untergrund haben, also eine Farbe haben, die ich auch im trüben Licht erkennen kann. Das sind Überlegungen, die ich als Gestalter vornehmen muss, wenn ich will, dass meine Schriften, egal ob analog oder digital, Menschen nützen.
#pp: Braucht man überhaupt noch Gestalter? Jeder kann sich seine eigene Schrift am Computer inzwischen selbst entwerfen und herstellen. Es gibt schon etwa 150.000 Schriften.
Spiekermann: Es gibt auch Millionen von neuen Büchern, neuen Filmen, neuer Musik. Man kann die Typografie mit der Musik vergleichen. Ich kann die Pastorale von Beethoven fünf Minuten spielen oder zwischen zwölf und 17 Minuten. Es bleiben immer die gleichen Noten, aber sie werden unterschiedlich interpretiert. Meine Mutter hat früher manchmal gesagt; ,Junge, das ist aber schlecht gedruckt‘, wenn ihr etwas nicht gefallen hat. Ich habe dann geantwortet: ,Das ist nicht schlecht gedruckt, Maschinen drucken gut. Das ist nicht gut gestaltet‘.
#pp: Wie entstehen Ihre Schriften?
Spiekermann: Schriftentwurf und Fontproduktion sind zwei verschiedene Arbeitsgänge. Einzelne Buchstaben kann man mit der Hand zeichnen, das mache ich so. Immer. Aus den Buchstaben eine in sich stimmige, in allen Größen wie Breiten komponierte Gesamtschrift zu entwerfen, ist eine völlig neue Aufgabe. Das erledigen heute Computerprogramme.
#pp: In welche Richtung entwickeln sich zurzeit die Schriften?
Spiekermann: Inzwischen können wir sogar Handschriften digital nachmachen. Sie kennen den emotionalen Unterschied, wenn Sie unterwegs Tafeln sehen, die auf einen Hofladen hinweisen: Steht da mit Kreide handschriftlich auf einer Schiefertafel ,Frische Eier vom Bauern‘, dann glauben Sie das und kaufen. Stünde dort: ,Private Flugstunden‘ würden Sie das natürlich nicht machen. Schriftarten transportieren auch Gefühle wie Vertrauen oder eben Misstrauen.
#pp: Gibt es einen Trend?
Spiekermann: Eine Art-déco-Schrift ist bei vielen Gestaltern beliebt. Damit kann man vermeintlich Hässliches oder fehlenden Inhalt überdecken. Mir ist das nicht authentisch genug, zu viel Zuckerguss. Ich habe ja mal den Economist relaunched. Seither weiß ich, wie wichtig die richtige Zeilenbreite ist und warum ein 200-Zeilen-Text anders dargestellt werden muss als eine 50-Zeilen-Meldung, die man mal eben so runterliest.
#pp: Gestaltung also auch als Leserführung?
Spiekermann: Dahin sollten wir unbedingt wieder kommen. Das digitale Runterscrollen auf einer Seite und das ungebremste von Seite zu Seite klicken hat unsere Lesegewohnheiten verdorben. Wir lesen schnell, selten zu Ende und merken uns immer weniger. Auch das ist eine Aufgabe von Schrift und ihrer Ausarbeitung: Zu zeigen, das, was du hier gerade liest, ist wichtig.
#pp: Ist es angesichts der technischen Entwicklung heute einfacher oder schwieriger eine Schrift zu gestalten?
Spiekermann: Die Möglichkeiten, zu gestalten, sind riesig. Das ist wie das Kaninchen, das wie gelähmt vor der Schlange sitzt, weil es nicht weiß, wie es entkommen soll. Eine Herausforderung, aber sie ist ungemein reizvoll. Ich rate zu möglichst viel Unvoreingenommenheit. Wenn ich zu viel von dem weiß, was es alles schon gibt, dann beschränke ich mich. Und Beschränkungen sind nie gut. Vor allem nicht in der Kreativität.
#pp: Muss ich als Gestalter auch Leser sein?
Spiekermann: Ohne geht es nicht. Nur wenn ich weiß, wie leserlich etwas sein muss, kann ich es entsprechend gestalten. Bei mancher Schrift merkt man genau, dass die Gestalter nie versucht haben, sie auf einem kleinen Display zu lesen. Deshalb, ganz wichtig: Die Schrift ist nie schuld.
#pp: Was halten Sie von Emojis? Sie gelten vielen als künftige Weltsprache.
Spiekermann: Das ist eine ziemliche Verballhornung von Schrift. Der gestreckte Mittelfinger oder der Grinsekopf als Zeichen von Kommunikation, wie banal. Dann lieber Rumpf-Englisch als Versuch, sich weltweit miteinander zu verständigen. Aber das passt zum Selbstverständnis eines Zuckerberg und seiner künstlichen Metaverse-Welt, zu Jeff Bezos und seinen Raumfahrtplänen und zu Amazon, das uns zu Sklaven unseres Konsums machen will. Statt die Realität zu verändern, bauen sie sich eine künstliche Umwelt. Das ist nicht meine Art, die Welt zu begreifen und in ihr zu leben. #
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