#Menschen

Top-Werber mit Herz für Papier – gibt es die eigentlich noch?
Ja, klar!
Robert Auer, Geschäftsleiter Kreation der Scholz & Friends Family Agentur metagate, ist alles andere als ein Internet-Junkie. Zahlreiche Branchen, sagt er, hätten auch in Zukunft gar keine andere Wahl als auf Print zu setzen.

#printproud: Herr Auer, bei der Print & Digital Convention 2021 in Düsseldorf haben Sie mit einem Vortrag zum Thema ‚Print hat Substanz‘ Aufmerksamkeit erregt. Warum brauchen wir Print?

Robert Auer: Die Fragen werden heutzutage ja immer wieder gestellt: Ist Print tot? Hat es sich überlebt? Brauchen wir das überhaupt noch? Mein Thema ist die friedliche Koexistenz. Es gibt Formate, die zwingend über Print bedient werden müssen, andere funktionieren besser Online. Aus unserer Welt ist Online natürlich nicht mehr wegzudenken, gleichzeitig wird Print immer seinen Platz haben.

#pp: Erleben Sie das so auch in Ihrem Alltag?

Auer: Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Für ein Ministerium haben wir von metagate eine Broschüre gemacht, deren Inhalte thematisch in die Tiefe gehen. Gleichzeitig haben wir einen Weg gefunden, auf einem Instagram- und einem Facebook-Account Informationen kurz und knackig anzureißen. Da kann man draufspringen wie ein Fisch auf den Köder. Im besten Fall bestellt der Insta-Nutzer sich danach die Broschüre. In der Broschüre wiederum gibt es Links und QR-Codes, die auf Online-Medien wie Podcasts verlinken, die dann wieder eine neue tiefergehende Information bieten. Man sieht daran ganz schön, dass immer in beide Richtungen gedacht werden muss.

#pp: Ein bisschen funktioniert moderne Kommunikation ja wie in der Kneipe: Man hat ein großes Fass mit Inhalten, dann gibt es fünf Zapfhähne und man zapft Print und Web und Podcast, Newsletter und Social Media. Am Ende kommt ein großes Ganzes dabei raus.

Auer: Genau. Diese Fronten, die oft zwischen Print und Online aufgebaut werden, sind kontraproduktiv. Als der große Digitalhype begann, waren viele Experten der Meinung, dass es neben Online nichts anderes mehr geben muss. Die Zeit hat aber gezeigt, dass Print einfach weiter stattfindet.

#pp: Begegnen Sie in Ihrem Agenturalltag Kunden, die ausschließlich auf Online setzen wollen, weil andere das vermeintlich auch so machen und weil sie modern sein wollen?

Auer: Definitiv ja. Diese Unternehmen fühlen sich einem Druck ausgesetzt und glauben, wer als Marke modern sein will, muss künftig alles ausschließlich online machen. Aber die hohe Kunst ist, sich als Marke nicht selbst zu verraten. Ein Bankhaus beispielsweise sollte sich gut überlegen, ob es Sinn macht, dauernd bei Instagram knackige Meldungen rauszukicken. Und es gibt eine ganze Reihe von Branchen, die für ihre Themenbereiche Informationstiefe benötigen, neben Versicherungen und Finanzdienstleistern auch Technologieunternehmen, Ministerien oder Universitäten. Die haben eigentlich gar keine andere Wahl, als weiterhin auch auf Print zu setzen. Es wird dann oft als Notlösung das PDF gewählt – ist aber nichts Halbes und nichts Ganzes.

#pp: Wie beraten Sie in solchen Situationen aus Ihrem großen Agenturnetzwerk heraus?

Auer: Ich bin Print addicted und damit groß geworden, aber natürlich guckt man, welcher Weg für den jeweiligen Kunden der beste ist. Scholz und Friends hat gerade für die EU zielgerichtet auf die Generation Z eine Kampagne für den Green Deal gemacht. Sie war zu 90 Prozent online, da muss man sich nichts vormachen. Für eine Stiftung denken wir gerade eine Art Handbuch an, das sich auf vielen Seiten tiefgehend mit demokratischen Werten beschäftigt. Eine Art ‚Demokratie-Bibel‘ sozusagen. Wenn Sie solch ein tiefes Kompendium erstellen, macht es schon großen Sinn, den haptischen Weg zu wählen.

#pp: Vor gar nicht langer Zeit haben sich große Autohersteller nahezu komplett von Printprodukten abgewandt, nun gibt es auch dort eine Renaissance von Broschüren und Magazinen. Einsicht zur rechten Zeit?

Auer: Erstaunlicherweise wollten gerade Autohersteller in der Vergangenheit tatsächlich unbedingt auf Print verzichten, nichts sollte mehr gedruckt werden. Dabei funktionieren emotionale Eindrücke was Farben, Innenausstattung oder etwa Ledersitze angeht nur im haptischen Bereich. Jeder, der einmal online in einem dieser Konfiguratoren hing, weiß doch, dass es nicht das gleiche Gefühl ist, ob man etwas auf schönem Papier sieht oder auf dem Bildschirm. Mit Publishing-Produkten kommt man der Substanz von Produkten näher. Deshalb wird bei größeren Anschaffungen im Consumer-Bereich Print immer ein großer Faktor bleiben.

Wer ist eigentlich … ?

Robert Auer ist Geschäftsleiter Kreation der Scholz & Friends Family Agentur metagate in Berlin. Statt Taxifahrer zu werden, entschied sich der studierte Lehrer für Deutsch und Französisch Anfang der 2000er-Jahre für eine Karriere in der Werbung. Seitdem textet, schreibt und denkt er für Kunden aus den Bereichen NGO, FMCG, Beauty, Handel und Medien klassische Kampagnen, Online-Kommunikation und Dialogmaßnahmen.

Sichtlich wohl fühlte er sich im Papierregen auf dem Recyclinghof Melosch, wo ihn Ivo von Renner für #printproudmagz ablichtete. Das Hamburger Unternehmen ist spezialisiert auf saubere Entsorgung – seit mehr als 100 Jahren.

#pp: Wertige Produkte müssen auch wertig präsentiert werden, gilt diese Regel eigentlich auch für jüngeres Publikum?

Auer: Mein Sohn interessiert sich, wie viele seiner Freundinnen und Freunde, plötzlich für Luxusuhren. Er folgt auf YouTube einem Uhrenpapst, der dort mechanische Uhren vorstellt, die sich mein Sohn und seine Freunde natürlich nicht leisten können. Trotzdem üben die Uhren auf die 16- bis 18-Jährigen eine solche Faszination aus, dass ihnen nicht mal YouTube reicht. Sie gehen in Boutiquen, um sich hochwertige Kataloge zu besorgen. Mir zeigt das: Auch in Zeiten von Online gibt es eine Faszination der Nachhaltigkeit. Metagate hat beispielsweise für einen Juwelier gerade ein aufwändiges Printprodukt kreiert, das Kollektionen aus 40 Jahren Unternehmensgeschichte zeigt. Mit diesem Handschmeichler wollte sich das Unternehmen bei seinen Kunden bedanken. Die darauf folgenden Bestellungen haben gezeigt, dass das Printprodukt die Kunden nicht kalt gelassen hat.

#pp: Wie wichtig ist das Thema Nachhaltigkeit überhaupt in der heutigen Zeit?

Auer: Die Art und Weise, wie Unternehmen mit Nachhaltigkeit, Werten und ethischen Standards umgehen, ist ein Riesenthema und ich kann nur dazu raten, solche Schritte zu gehen. Da gibt es zum beispielsweise Print on Demand, wo bei Bestellung per Klick nur ein individualisiertes Exemplar an den Kunden herausgeht, ein Benefit für den Kunden und die Umwelt. Gleiches gilt für recyceltes Papier. Das sieht schon lange nicht mehr so grau aus, wie manche denken. Wichtig ist dabei aber auch, dass Marken das Thema ihren Kunden gegenüber durch ein Logo oder ähnliches offen zeigen. Denn Nachhaltigkeit gehört bei immer mehr Unternehmen zur Compliance dazu und zeigt die Haltung gegenüber der Welt und den nachfolgenden Generationen. Hier gilt die Regel besonders: Tue Gutes und sprich drüber.

#pp: Grundsätzlich gefragt: Wohin geht die Reise in der Kommunikation?

Auer: Fakt ist, dass wir durch Corona einen Crashkurs in Digitalisierung erfahren haben. Wir werden deshalb auch in Zukunft eine Gesellschaft sein, die immer stärker digital kommuniziert. Aber eine wichtige Rolle bleibt für Print, und ich verwende bewusst nicht das Wort Nische. Wenn die Leute sagen: ,Ich vermisse Print überhaupt nicht!‘, dann erzähle ich immer diese Anekdote: Jeder kann sich daran erinnern, als er nach der ersten harten Coronaphase wieder in ein Restaurant ging, und plötzlich gab es die Speisekarte nur per QR-Code. Bei mir war die Enttäuschung groß, weil das Ritual entfiel, die Karte überreicht zu bekommen, die Menüfolge in Ruhe zu lesen und in diese Genusswelt einzutauchen. Ich bin sicher: Auch die selbst ernannten Printvermeider, die glauben, Print nicht zu vermissen, würden Print vermissen, wenn es Print nicht mehr gäbe.

#pp: Also gilt weiterhin der Slogan: Print lebt!

Auer: Das klassische Thema Publishing ist nicht so einfach zu ersetzen wie manche glauben. Skandinavische Wissenschaftler haben in der sogenannten ‚Stavanger Erklärung‘ festgehalten, dass gerade informative, sekundäre Texte besser vom Leser über Print aufgenommen und abgespeichert werden. Bei fiktionalen Texten hingegen macht es keinen Unterschied, ob sie am Bildschirm oder auf Papier gelesen werden. Sobald also eher fachliche Informationen aufgenommen werden müssen, schlägt Print Online.

#pp: Thema Mediennutzung der Generationen: Gibt es Unterschiede zwischen jungen und älteren Menschen?

Auer: Natürlich, aber eines ist klar: Auch junge Leute wollen wieder Print. Dieser Jeff Bezos-Effekt der Mittvierziger, die unbedingt cool und immer Online sein wollen, der ist vorbei. Ich habe zuletzt in Videokonferenzen so viele junge Leute im Homeoffice gesehen, bei denen wieder das Billy-Bücherregal von Ikea im Raum stand. Finde ich lustig, dass offenbar der klassische Bildungsbürgerkanon den Generationen Y und Z wieder sehr gut gefällt und ihnen auch gut steht. Kennen Sie übrigens den Laden ,Do you read me‘ in Berlin? Dort gibt es Bücher und Magazine und man sieht ihn immer rappelvoll – und zwar mit jungen Leuten. Die wollen da rein, die fotografieren sich mit der Jutetasche mit dem Aufdruck ,Do you read me?‘ und posten es auf Social-Media-Kanälen. Da bin ich als Printfan immer erleichtert, wenn ich das sehe.

#pp: Es gibt ja auch bei Verlagen wieder Printkonzepte für junge Leue, die durchaus erfolgreich sind.

Auer: Es gibt eine Sehnsucht nach Kontemplation. Man möchte sich irgendwo hinsetzen und ein Buch oder Magazin öffnen und durch die Themen geführt werden – wie bei einem Paartanz. Die Bedeutung von kuratierten Inhalten nimmt deshalb immer weiter zu. Jeder kann sich heutzutage im Netz Informationen nach seinen Wünschen zusammenstellen, aber in einem Magazin, wo ich eine Struktur vorgegeben bekomme, kann ich mich fallenlassen und werde an die Hand genommen.

#pp: Was ist eigentlich für Sie printproud?

Auer: Ich bin stolz, in Zeiten aufgewachsen zu sein, in denen ich das volle Spektrum von Print erlebt habe. Ich fand es toll, in Cafés zu gehen, wo es diese Zeitungsstöcke mit Zeitungen aus verschiedenen Ländern gab, dass es Buchläden an jeder Ecke gab, dass man mit dem Rascheln von Zeitungen und dem Geruch eines Buches aufgewachsen ist. Ich bin froh, dass ich das alles wertschätzen kann. #