#Magazin

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Text: Burkhard Zimmermann
Überraschungen auf dem
Print-Markt: Erfolgreiche Magazine
werden eingestellt, Kataloge laufen
nach jahrelanger Pause wieder aus den Druckmaschinen,
das körperlich spürbare Papier ringt
mit den flüchtigen Digitalinhalten um die Bedeutungshoheit.
Dabei können beide sich so wunderbar ergänzen –
wenn man sie lässt.
Der Zug ist abgefahren. Im Dezember 2022 erschien zum letzten Mal die Zeitschrift db mobil, das Kundenmagazin der Deutschen Bahn – 21 Jahre lang hatte sie in den Zügen ausgelegen und jeden Monat mehr als eine Million Leser erreicht. Jetzt flackert ihre Seele körperlos auf irgendwelchen Servern herum, von dort spricht sie über über einen Podcast und über die Website der Bahn zu den Reisenden. In etwas dürren Pressemeldungen gab die Bahn an, dass man Papier sparen wolle, zudem habe sich das Medienverhalten der Fahrgäste verändert. Ähnliche Motive hatten auch Audi und BMW, die in den letzten Jahren gedruckte Kundenmagazine abschafften; Credo: „Digital ist besser“, wie Tocotronic einst sangen.
Ist es das? Prof. Karsten Kilian leitet den Masterstudiengang „Medien- und Markenmanagement“ an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt, beim Videocall mit #printproudmagz sieht man links im Hintergrund seines Arbeitszimmers eine große Milka-Kuh, die auf zwei Bücherstapeln balanciert, rechts steht eine Flasche Toilettenreiniger namens WC-Ente, eine seiner Lieblingsmarken. Dass gerade Autohersteller ihre Kundenmagazine einstellen, überrascht ihn: „Ein Auto zu kaufen ist häufig eine sehr emotionale Entscheidung“, sagt Kilian. „Die Gefühle, die dabei eine Rolle spielen, lassen sich mit Fotos und Geschichten auf gutem Papier viel besser generieren als mit einer Website. Man spürt bei einem gedruckten Magazin die Wertigkeit – das Papier hat eine Struktur, das Heft hat ein Gewicht, und diese Sinneseindrücke übertragen sich auf die Haltung des Nutzers zur Marke.“ Noch größer scheint seine Skepsis gegenüber der Abschaffung der gedruckten db mobil und ihrer Abwanderung ins Internet: „Im Zug kommuniziert die Zeitschrift ständig mit mir“, erläutert Kilian. „Sie liegt in meinem Sichtfeld, oft ist auch vorn ein Gesicht drauf, das mich anschaut. Irgendwann wird das Surfen im Internet langweilig, und dann nimmt man eben das Magazin in die Hand.“ Man könnte es auch im Intenet lesen – macht man aber nicht, glaubt Kilian. „Warum soll ich die Seite aufrufen, wenn ich im Zug sitze?“, fragt er. „Wenn ich online bin, kann ich doch auch Nachrichtenseiten lesen oder WhatsApp-Nachrichten schreiben – das sind alles Elemente, mit denen db mobil dann konkurrieren muss.“
Eine Konkurrenz mit anderen Printmedien brauchen Kundenmagazine schwerlich zu fürchten, schließlich bekommen die Leserinnen und Leser sie kostenlos. Und was bekommen die Unternehmen dafür? „Man hat mit einem gedruckten Magazin einen Zugang zu den Boomern, also den Geburtsjahrgängen etwa 1946 bis 1964, und zur Generation X, also von etwa 1965 bis 1979“, sagt Kilian. „Beide Gruppen sind mit Printmedien aufgewachsen und lesen sie gern, und: Sie sind in einer Lebensphase, in der sie Vermögen angesammelt haben oder eine gute Rente bekommen.“
Das mag ein Grund dafür sein, dass einige Magazine jetzt wieder zurückkehren oder sogar neu aufgelegt werden. Das Modehaus Adler wurde 1948 im sächsischen Annaberg gegründet, seit 2021 gehört es zur Zeitfracht Gruppe in Berlin – auch die hat eine lange Geschichte, sie geht zurück auf einen 1927 gegründeten Fuhrbetrieb aus Stendal in Sachsen-Anhalt. Heute gehören zu Zeitfracht zahlreiche Firmen aus Technik, Logistik, Buchhandel, Mode, Nahrung und Genuss, eigentlich ist es ein großer, lebender Versandorganismus, in den sich Adler mit seinen 133 Filialen und seinem Online-Shop bestens einfügt. Während Otto und Ikea in den letzten Jahren die Axt an ihre Kataloge gesetzt haben, gibt Adler jetzt nach 14 Jahren Pause wieder zweimal jährlich einen magazinähnlichen Katalog heraus, zwischen der Kleidung findet man Beauty-Tipps, Reisevorschläge, Buchneuheiten und Rezepte: Gedruckt wird er von der Druckerei Hofmann in Nürnberg, die ebenfalls zu Zeitfracht gehört, und gestaltet hat ihn die Marketingagentur Coconad, eine weitere Zeitfracht-Tochter. Nun ist es unter diesen Umständen wohl leicht, einem Modehaus zweimal pro Jahr einen Katalog mit einer Auflage von rund einer Million Exemplaren angedeihen zu lassen – aber wozu? „Mit der Übernahme durch die Zeitfracht-Gruppe ist Adler wieder an den Ursprung eines Familienunternehmens zurückgekehrt“, erklärt Heinz-Joachim Schöttes, Leiter der Konzernkommunikation bei Zeitfracht. „Somit lag es nahe, mit dem Katalog ein traditionelles Werbemittel aufleben zu lassen, auch im Hinblick auf die Adler-Zielgruppe: Frauen und Männer im Alter von 55 plus und auch zunehmend jüngere Zielgruppen.“
Und die Chancen stehen gut, dass Adler sie mit seinen neuen Katalogen tatsächlich erreicht. Das Content Marketing Forum, der wohl wichtigste Branchenverband für Content Marketing im deutschsprachigen Raum, hat Anfang 2022 eine Studie zu Kundenmagazinen veröffentlicht, durchgeführt mit dem Forschungsinstitut Scion an 1626 Personen zwischen 18 und 65 Jahren. Das Ergebnis: 89 Prozent der befragten Verbraucherinnen und Verbraucher lesen gedruckte Kundenmagazine, besonders häufig tun das 30- bis 39-Jährige und Personen mit höherem Bildungsniveau – rund 70 Prozent der Teilnehmenden fühlen sich durch das Lesen auf Papier dem Unternehmen verbunden. Wäre es nicht am schönsten, wenn man Printmagazine gefällig mit digitalen Inhalten vermählen könnte? Kann man: Seit gut einem Jahr produziert Burda für die Baumarktkette Obi das gedruckte Gartenmagazin „Alles Machbar“, eine anwendungsorientierte Emotionsdepesche rund um Sitzlandschaften, Gartenpool und alles, was zwischen Rhabarber und Magnolie sonst noch los ist. QR-Codes dienen als Schuhlöffel in die Website, und weil man die Fotos für den ersten Katalog im Winter machen musste, hat die Kölner Agentur Nju einfach mit CGI (Computer Generated Imagery) ein warmes Sonnenlicht in die Bilder gezaubert, damit die Seiten zum Erscheinungstermin schön sommerlich ausschauten. Print und Digital: So wirkt zusammen, was zusammen gehört. #
Im aktuellen #printproudmagz No. 4 mit dem Titel „The Art of Print“ widmen wir uns dem Schwerpunktthema Papier & Farbe. Traditionelles Handwerk trifft auf Innovation: gedruckte Batterien, Solarzellen, Drucksensoren und KI in der Herstellung.
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