#Wissen
Text: Burkhard Maria Zimmermann
Die Papierwirtschaft nutzt ihn, das Klima braucht ihn, die Menschen lieben ihn: Wie geht es eigentlich dem Wald in Deutschland?
Boah, wenn’s das gäbe! Man stelle sich vor, ein Gremium mit Vertreter:innen aus Wirtschaft, Politik und Naturschutzverbänden müsste sich für die deutsche Erdkrume etwas ausdenken, das ganz viel kann: Lebensraum für Pflanzen und Tiere bieten, Arbeitsplätze schaffen und Geld abwerfen, die Menschen sollen es schön finden, im günstigsten Fall hilft es sogar bei der Eindämmung der Klimakrise.
Gibt’s schon: Der Alleskönner heißt Wald, und je länger man sich mit ihm beschäftigt, desto faszinierender wird er. Etwa alle 10 Jahre lässt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) die sogenannte Bundeswaldinventur durchführen, die dritte war 2012, die vierte und aktuelle läuft seit 2021. Einige Ergebnisse der vergangenen Holzzählung: 32 Prozent der Landfläche in Deutschland sind bewaldet, von den 11,4 Millionen Hektar sind 48 Prozent in privater Hand; Fichten, Kiefern, Buchen und Eichen sind mit rund 73 Prozent die häufigsten Baumarten in
Wenn Papier in Deutschland hergestellt wird, dann stammen mehr als 90 % des dafür verwendeten Holzes aus dem Inland
Deutschland, in einem Wald leben etwa 7.000 bis 14.000 Tierarten und 4.000 bis 6.000 Pflanzenarten. Aber: „Über 90 Milliarden Bäume wachsen in Deutschlands Wäldern – zu viele, um jeden einzelnen erfassen zu können“, wie das Ministerium betont. Falls Sie mal ein Beispiel für professionelles Erwartungsmanagement brauchen: Hier ist eins.
Insgesamt spielen Erwartungen bei der Wertschätzung gegenüber Wäldern eine große Rolle – 68 Prozent der Deutschen gehen mindestens einmal pro Monat in den Wald, das macht ihn zu einem wichtigen Erholungsraum, aber auch als Wirtschaftsraum hat er große Bedeutung. Im Jahr 2019 hingen mehr als eine Million Arbeitsplätze am Wald und seinen Produkten, davon etwa 311.000 im Druck- und Verlagswesen, rund 131.000 in der Papierherstellung. Deutsche Unternehmen haben 2021 gute 23 Millionen Tonnen Papier, Karton und Pappe produziert, etwa 78 Prozent des Ausgangsmaterials waren Altpapier, rund 22 Prozent waren frische Zell- und Faserstoffe. (Lesen Sie hier zum Thema „Recycling“ auch unsere Geschichte über die Firma LEIPA.)
Und woher kommt das frische Material? „Wenn Papier in Deutschland hergestellt wird, dann stammen mehr als 90 Prozent des dafür verwendeten Holzes aus dem Inland“, sagt Wolfgang Beck, Mitglied im Vorstand des Industrieverbandes Die Papierindustrie und Senior Vice President bei Mercer International Inc., einem der weltweit führenden Hersteller von Zellstoffprodukten. „Darum ist Holz aus deutschen Wäldern für die deutsche Papierherstellung essentiell.“ Wichtig für die Beschaffenheit eines Papieres ist die Länge der Fasern: Holz mit längeren Fasern wie Fichte und Kiefer wird für festere Papiere verwendet, kürzere Fasern wie die der Buche eignen sich für Sorten, die weich, glatt und bedruckbar sein sollen, darunter Hygiene- und Schreibpapiere. Die Bäume, die dafür geschlagen werden, seien oft solche, die für die wirtschaftliche Nutzung einen eher geringeren Wert haben: „Wenn der Mensch nicht eingreifen würde, würden stärkere Bäume die schwächeren verdrängen und ihnen das Licht nehmen“, sagt Beck. „Der Förster gestaltet diese Entwicklung aktiv und entnimmt Bäume mit fehlerhaftem Holz, sodass nur hochwertige Bäume übrig bleiben, aus denen sich Möbel und andere langlebige Produkte herstellen lassen. Diesen Vorgang nennt man Durchforstung, und das Durchforstungsholz wird für Papier verwendet – hochwertiges Holz braucht man dafür nicht, weil es ohnehin zerhackt wird.“
Knapp 97 % der deutschen Waldfläche bestehen heute aus Wirtschaftswäldern, in denen Holzernte stattfindet
Ein Forst ist ein wirtschaftlich genutzter Wald, und andere Wälder gibt es in Deutschland kaum. „Knapp 97 Prozent der deutschen Waldfläche bestehen heute aus Wirtschaftswäldern, in denen Holzernte stattfindet“, sagt Nicola Uhde, Expertin für Waldpolitik beim Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Nur rund drei Prozent sind Naturwälder, die sich frei von Forstwirtschaft entwickeln können. Wenn wir die biologische Vielfalt unserer Wälder schützen und wiederbeleben wollen, dann sollten mindestens 15 Prozent der Waldfläche natürliche Wälder sein.“ Und wie geht es den Wäldern? „Nur jeder fünfte Baum in Deutschland ist gesund, in Nadelforsten sehen wir große Probleme“, erläutert Uhde. „Durch zunehmende Hitze, Trockenheit und Stürme in Folge der Klimakrise sterben ganze Waldbestände ab.“ In den Laubwäldern sehe es etwas besser aus, aber auch deren Bäume seien belastet, vor allem die Rotbuchen: „Besonders die alten Bäume sterben ab, wenn sie nicht mehr genug Wasser bekommen. Durch intensive Forstwirtschaft sind die Wälder oft zusätzlich geschwächt – wenn zu viele Bäume auf einmal gefällt und das Dach aus Baumkronen zu stark aufgelichtet wurde, dann entweicht die Feuchtigkeit noch leichter.“ In den angegriffenen Bäumen kann sich der zerstörerische Borkenkäfer besonders gut vermehren, ganze Waldbestände geraten in eine gefährliche Abwärtsspirale. Die ist besonders problematisch, da Wälder messbar zur Dämpfung der Klimakrise beitragen: Im Erhebungszeitraum der dritten Bundeswaldinventur wurden in Deutschland pro Jahr rund 820 Millionen Tonnen an CO2 ausgestoßen – gleichzeitig haben deutsche Wälder das Klima um rund 50 Millionen Tonnen entlastet.
Alles in allem ist es also nicht gut bestellt um den deutschen Wald, aber es gibt auch gute Nachrichten. „In den letzten Jahren wurden einige Wälder als Naturwälder oder sogar als Wildnisgebiete ausgewiesen“, sagt Nicola Uhde, und positiv sei auch, dass immer mehr private wie öffentliche Waldbesitzer:innen versuchten, naturnäher zu wirtschaften: „Die Bedeutung der Wälder als Lebensraum, als Kohlenstoff-Speicher oder für unsere Erholung sind zunehmend im Bewusstsein der Bevölkerung angekommen. Da hat tatsächlich ein Umdenken begonnen.“ Seit 1975 sucht das Bundeswaldgesetz nach einem Gleichgewicht zwischen dem Gemeinwohl und den Ansprüchen der Waldbesitzer:innen, zur Zeit wird es überarbeitet. Vielleicht findet das Umdenken ja in der neuen Fassung seinen Niederschlag, es wäre den Wäldern zu wünschen. Wenn schon die anderen Niederschläge ausbleiben. #
Über den Autor
Burkhard Maria Zimmermann
Burkhard schreibt seit über 20 Jahren über alles Mögliche; hinzu kommen einige Sachen, die schwer einzuordnen sind – der Rest landet im Ordner „Vermischtes“. Eine völlig willkürliche Auswahl seiner Texte finden Sie hier: torial.com/burkhard-maria.zimmermann
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