#Trend
Text: Friederike Schön
Glitzerschriften, 3D-Effekte, farbige Buchschnitte: Über TikTok und Instagram erobert eine vorwiegend junge Zielgruppe den Lesemarkt, produziert mit viral gehenden Videos Bestseller und verlangt dabei viel vom Buch und seinen Machern. Denn nicht nur die Geschichte zwischen den Buchdeckeln zählt, sondern auch Optik und Haptik. Die Verlage haben reagiert und investieren viel in aufwendige Cover und Extra-Ausstattung ihrer Bücher.
Text: Friederike Schön
Glitzerschriften, 3D-Effekte, farbige Buchschnitte: Über TikTok und Instagram erobert eine vorwiegend junge Zielgruppe den Lesemarkt, produziert mit viral gehenden Videos Bestseller und verlangt dabei viel vom Buch und seinen Machern. Denn nicht nur die Geschichte zwischen den Buchdeckeln zählt, sondern auch Optik und Haptik. Die Verlage haben reagiert und investieren viel in aufwendige Cover und Extra-Ausstattung ihrer Bücher.
Ausgerechnet eine der angesagtesten Social Media Plattformen, die ein altes Medium wie das Buch wie eine Monsterwelle hätte überrollen können, verhilft ihm zu neuem Ruhm: TikTok. Anstatt unterzugehen, kehrt das Buch zurück an die Oberfläche. Nicht nur das: In dieser eigenen, digitalen Welt wird es liebevoll inszeniert, verehrt und gefeiert – von einer jungen Generation, die dem Lesen von Büchern scheinbar bereits abgeschworen hatte und die für den Buchmarkt schon als verloren galt. In Deutschland sind pro Monat rund vier Millionen Menschen auf TikTok aktiv, die Mehrzahl ist unter 23 Jahre alt. Wer sich auf der App bewegt, fühlt den Sog: Die schnellen, leicht konsumierbaren Video-Clips scheinen den größtmöglichen Widerspruch zum gedruckten Buch darzustellen, für das es Ruhe und Konzentration braucht und das die Bilder allein im Kopf erzeugt. Doch ausgerechnet auf TikTok wird dem Buch eine Bühne gegeben, wie man sie seit dem literarischen Quartett mit Marcel Reich-Ranicki nicht mehr gekannt hat – von der Reichweite der App ganz zu schweigen. Ob der einstige Literaturpapst heute TikToker wäre?
Die Video-App jedenfalls bereitet dem Buch einen schillernden Auftritt. Konkret sind es junge, vorwiegend weibliche Nutzerinnen, die Büchern auf ihren Accounts eine Ehre zuteilwerden lassen, wie sonst nur ihren Pop-Idolen, Lieblings-Influencern und Hollywood-Stars. Der Motor dahinter, der das Ganze antreibt, ist ein einziges, mächtiges Hashtag: #BookTok. Über 84 Milliarden Mal wurde es bisher angeklickt. Gibt man es in der App ein, erscheinen Videos, auf denen BookToker ihre Lieblingsschmöker zeigen, Empfehlungen geben, sie filmen sich beim Lesen, spielen Szenen nach oder veranstalten Challenges, bei denen Follower etwa bestimmen, welches Buch sie als nächstes lesen und vorstellen sollen. Und zwar nicht mal eben nebenbei – sondern in einem Spektakel, bei dem jeder Video-Schnitt ein neuer Akt in einem reich inszenierten Drama ist. Manchmal tränenreich, meist überschwänglich und immer hoch emotional. Es geht um große Gefühle.
Zum Beispiel bei Burcu Bloyd. Die hübsche junge Frau mit den langen dunklen Haaren beginnt eines ihrer Videos mit einem freudigen Kreischen und vollführt das in den Buch-Communities sehr beliebte „Unboxing“: Vor laufender Kamera wird die Buchsendung geschwenkt und dann geöffnet. Bei TikTok erfordert das Zeitfenster von 60 Sekunden Schnelligkeit, also reißt Burcu die Pappe genussvoll auf und hält das in Pastelltönen im Anime-Stil gestaltete Cover ins Bild. Auch der farbige Buchschnitt mit Kirschblüten wird ausgiebig präsentiert, begleitet von Seufzern und Worten der Bewunderung („Ich glaub dieses Buch wird mich zerstören, aber ich bin bereit, schaut euch das doch mal an, wie wunderschön“). Zum krönenden Abschluss liest sie den Klappentext vor. Die Follower zeigen ihr Entzücken mit über 200.000 Likes und 3000 schwärmerischen Kommentaren. „Bleib bei mir Sam“ heißt der Roman von Dustin Thao, ein amerikanischer Autor mit vietnamesischen Wurzeln – das Buch wurde zur TikTok-Sensation und stürmte die New-York-Times-Bestsellerliste. Durch BookToker wie Burcu Bloyd.
Kein Einzelfall: Inzwischen haben sie das Bestseller-System insofern „geentert“, als plötzlich auch Bücher, die schon lange auf dem Markt sind, ganz nach oben auf die Listen schießen, nur weil Influencer sie gerade für sich entdeckt haben. „Davon werden die Verlage nicht selten kalt erwischt, wenn plötzlich halb vergessene Titel von der Backlist wieder auf der Bestsellerliste landen“, sagt Mariam En Nazer. Sie ist seit vielen Jahren Herstellerin bei der Penguin Random House Verlagsgruppe. Berühmte BookToker freuen sich über Werbe-Deals und mit persönlichen Gimmicks garnierte Buchgeschenke von Autoren und Verlagen. In den USA, von woher der Trend zu uns schwappt, hat die Buchhandlung Barnes & Noble bereits reagiert und in einigen Filialen Extra-Tische für Titel eingerichtet, die auf TikTok viral gegangen sind, auch im Onlineshop gibt es eine eigene Bestenliste-Seite. Ein Phänomen, das einem derzeit auch in vielen deutschen Buchhandlungen begegnet. Galt auf den Büchertischen, wo jeder Titel um die Aufmerksamkeit seiner potenziellen Käufer buhlt, der Bestseller-Badge bekannter Leitmedien als Ritterschlag, so gilt die Auszeichnung „TikTok-Sensation“ bei jüngeren Lesern als Kaufanreiz.
Die Cover-Gestaltung wird dabei immer wichtiger – und sichtbar aufwendiger. Das gilt vor allem für das noch recht neue und schnell wachsende Segment „New Adult“, Abenteuer und Fantasy. „Die LeserInnen legen großen Wert auf schön gestaltete Bücher“, sagt Silja Maehl, die im Belletristik-Lektorat des Heyne Verlags arbeitet, der zur Penguin Random House Verlagsgruppe gehört. „Wenn wir ein Manuskript einkaufen, dann denken wir auch sofort über die Optik nach, wie das Buch überhaupt aussehen wird. Das Cover ist wirklich ein Teil des Prozesses von Anfang an. Das ist so wichtig, damit man entscheiden kann, wie sich das Buch positionieren lässt. Erst wenn die Vision des Buches als Gesamtpaket steht, erfolgt das Cover-Briefing an die Grafiker.“ Es muss vor allem beim Taschenbuch schnell klar sein, auf welchen Buchtisch der Titel passt und für den Leser gut erkennbar sein, um welche Art von Buch es sich handelt. „Für uns Verlage ist es im Moment sehr interessant zu wissen: Was sind das auf TikTok für Leserinnen, und wie können wir die bedienen, weil dieses Feld wirklich explodiert.“ Es sind vor allem junge Frauen, „die einen unheimlich emotionalen Zugang zu diesen Büchern haben, und die bereit sind etwas mehr Geld auszugeben, nicht nur weil sie viele Bücher kaufen, sondern gerne auch für besonders hochwertige Ausgaben, die entsprechend teurer sind“. Diese Käuferinnen stellen hohe Ansprüche an die äußere Erscheinung eines Buches, das „instagrammable“, also möglichst gut zu fotografieren und dekorativ sein soll.
„Der Trend zum Veredeln ist durch BookTok nochmal befeuert worden, diese Leserinnen suchen etwas Besonderes, das sie gut inszenieren können“, sagt Maehl. Denn Inszenierung ist im Netz alles, und für die Fotos, die eine Bookfluencerin auf Instagram postet, wird dem Buch entsprechend seiner Gestaltung ein passendes Setting kreiert, wozu oft ein bis ins Detail dekoriertes Bücherregal im Hintergrund gehört. Nicht nur auf TikTok, auch auf Instagram zelebrieren Bookfluencer in ihren Fotos, Live-Sessions und Reels die Schönheit des Papiers, die ebenso wichtig scheint wie die Story selbst. „Die Emotionen beim Lesen sind für uns weiterhin stark an Papier geknüpft“, sagt Buchbloggerin Karla Paul. „Gerade die BookTok-Fangemeinde legt für ihre Kanäle sehr viel Wert auf schöne, außergewöhnliche Cover sowie zusätzliche Gimmicks wie einen farbigen Buchschnitt oder eine besondere Umschlaggestaltung. Dies wird auch durch die Bookhauls zelebriert“ – dabei werden die letzten Buchkäufe präsentiert. „Der Inhalt gewinnt dadurch noch einmal an Wert“, sagt Paul, die um die Macht von Social Media weiß. „Instagram und vor allen Dingen TikTok spielen inzwischen eine sehr große Rolle für den Verkauf von Büchern, gerade im Unterhaltungsbereich. BookfluencerInnen erreichen hunderttausende LeserInnen direkt in der jeweiligen Zielgruppe und können Bücher damit auch auf die Bestsellerliste bringen – Beispiel Colleen Hover.“ Die Verlage haben das Potenzial erkannt und arbeiten mit allem, was das moderne Buchdesign hergibt.
Wenn man eine Expertin wie Mariam En Nazer danach fragt, sprudelt es nur so aus ihr heraus. Um auf Covern Effekte zu erzielen, die anziehend wirken und ins Auge springen, wird neben der Gestaltung von Motiven und Schriften sowie Hoch- und Tiefprägungen viel mit Lacken und Folien zur Veredelung gearbeitet. „Spotlack dient dazu, einzelne Buchstaben auf dem Titel strahlen und optisch herauskommen zu lassen. Relieflack sorgt mit seiner Viskosität dafür, dass die Buchstaben oder Strukturen fühlbar erhaben sind, wenn man über das Buch streicht“, erklärt sie. Auch Glitzerlacke seien für Schriften beliebt, ebenso hauchdünne Prägefolien, mit denen sich Gold-, Silber- sowie perlmuttartige Schimmereffekte ergeben. „Die Möglichkeiten für solche Spezialeffekte sind fast grenzenlos, mit Strukturlack können wir Asphalt- oder sandige Oberflächen simulieren, wenn auf einem Cover eine Straße oder ein Strand abgebildet ist. Bei sehr dunklen, schwarzlastigen Covern nutzt man eine spezielle Mattfolie, eine Art von Kaschierfolie, damit der Umschlag nicht so schnell zerkratzt und abgegriffen aussieht. Mattierende Kaschierfolien kommen immer zum Einsatz, denn Hochglanzcover sind beim Buch selten geworden. Haptisch interessant ist auch Softtouchfolie, sie besitzt eine Latex-Haptik, durch die sich der Umschlag ein bisschen gummiartig anfühlt.“
Und auch bei den Materialien bietet sich viel Spielfläche. Ob raueres Naturpapier, Leinenpapier, speziell geprägte Varianten – zwar eignet sich nicht alles für ein Buchcover, „aber die Druckereien machen die verrücktesten Dinge möglich“. Da En Nazer in der Verlagsgruppe auch als Sustainability Managerin und damit für das Thema Nachhaltigkeit zuständig ist, sieht sie aber Grenzen, das gilt zum Beispiel für knallige Sonderfarben, die langsam wieder verschwinden. „Es ist immer eine Abwägung, was noch vertretbar ist und wobei zu viel Sondermüll entsteht. Die Recyclingfähigkeit muss bei Veredelungen gewährleistet werden. Wir setzen diese nicht nach dem Gießkannenprinzip ein, sondern wägen genau ab, wann es einen echten Mehrwert für eine bestimmte Zielgruppe hat.“ Auch wenn das Buch als solches kein Wegwerfartikel ist. Sondern im Zweifel noch ein langes Leben im Bücherregal, auf Tauschbörsen – oder auf TikTok und Co. führen darf. #
Über die Autorin
Friederike Schön
Rike mag gut gewürzten Buchstabensalat, gerne mit Scharfsinn, Prägnanz – und einer fetten Prise Humor, wo es passt. Das Ganze am liebsten in gedruckter Form. Gute Ideen kommen ihr häufig beim Zähneputzen oder gleich nach dem Aufwachen. Sie liebt Wasser und Tiere. Dafür hat sie Angst vor Gewittern – aber keine vor Schreibkrisen.
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