Der Mensch lebt von der Berührung. Das Haptische ist nicht nur ein sozialromantisches Gefühl wie die Erinnerung an die Schallplatte, sondern es ist mehr: Es aktiviert mein Gehirn, lässt mich oft wach und neugierig werden. In Hollywood schreiben unzählige Autoren jeden Tag ihre sogenannten Morgenseiten. Nach dem Aufstehen direkt an einen Tisch und von Hand circa drei DIN-A4-Seiten schreiben mit allem, was einem spontan einfällt, egal, wie banal das ist.
Im Gegensatz zum Tagebuch ist das morgendliche intuitive Schreiben ein kreativer Erweckungsprozess,
der einen voller Tatendrang in den Tag starten lässt. Doris Dörrie hat darüber einen Bestseller geschrieben. Ihre Einladung zum Schreiben auf Papier, also auch eine Form von Print, heißt „Leben, schreiben, atmen“.
Ich habe in den vergangenen Jahren circa 20 Kladden vollgeschrieben mit Belanglosem, Ideen, Beschreibung von kreativen Prozessen und so weiter. Und nach jeder Session setze ich mich früh morgens in einen Sessel und lese in einem Buch. Ich nehme mir die Zeit für philosophischen Content, um die Welt besser verstehen zu können. Ich kann das übrigens nur in Print und nicht auf dem Kindle und bin dabei keine Ausnahme. Dem Buch wurde vor Jahren wegen der E-Reader das Aus prognostiziert. Heute ist diese Form von Print stark wie nie:
Random House, der größte Buchverlag der Welt, fährt Rekordgewinne ein, die auch die Bilanz des Mutterkonzerns Bertelsmann so sehr stärken, dass der Vorstand davon träumt, doch noch zu den neuen Big Playern aufschließen zu können.
Nicht nur meine Studierenden sehnen sich nach digitalem Detox. Nachhaltigkeit und Entschleunigung sind mehr als nur ein Zeitgeist, sie entsprechen unserem menschlichen
Verlangen nach Ruhe, Orientierung und Einordnung. Klassischer Jour nalismus, der fragt, recherchiert, Zusammenhänge herstellt, nicht laut ist, sondern fundiert aufklärt, hat die Chance, lesbare Gebrauchsanweisungen für eine immer mehr ver–rückte Welt zu geben. DIE ZEIT gewinnt von Jahr zu Jahr mit fundierten Geschichten Auflage. Das Internet steht für die Sensation, Print ist der Garant für die verlässliche Aufklärung, die nicht nur wir in einer Demokratie gegen Internet-Populismus für Lösungen der Pandemie, des Klima- und demografischen Wandels brauchen.
Und Print ist alles andere als Vinyl. Mittlerweile habe ich mehrere Tausend Alben auf meinem iPhone. „Revolution“ klingt heute noch genauso wie früher – allerdings ohne Krächzen und Knacken.
Print ist immer wieder anders, muss es sein in einer sich ständig veränderten Welt. Deswegen sollten wir Blattmacher immer wieder den Ehrgeiz haben, Print zu erneuern – mit Content, der mehr als ein Quickie ist.
PS: Im Übrigen sind Bücher in den Regalen und Zeitungen und Zeitschriften auf dem häuslichen
Wohnzimmertisch immer noch eine Art Intellektuellenausweis – ähnlich wie die alten Vinyl-Scheiben. #